Platonismus jüdisch-christlicher und heidnischer Prägung in der römischen Kaiserzeit

Platonismus jüdisch-christlicher und heidnischer Prägung in der römischen Kaiserzeit
Platonismus jüdisch-christlicher und heidnischer Prägung in der römischen Kaiserzeit
 
Das einzige historisch gesicherte Datum im Leben des jüdischen Gelehrten Philon von Alexandria aus der ägyptischen Hafenstadt Alexandria ist das Jahr 39/40: Bezeichnenderweise führte er damals eine jüdische Delegation an, die der römische Kaiser Caligula um Unterstützung gegen einen despotischen Regionalpräfekten ersucht hatte. Um einen Ausgleich zwischen hellenistischer Kultur und Judentum bemüht sich Philon ansonsten nicht politisch, sondern philosophisch-theologisch. Hauptthemen seiner Schriften, deren Überlieferung freilich lückenhaft ist, sind die Auslegung des Pentateuch, der fünf Bücher Mose, im Geist des Platonismus und eine ebenfalls aus der platonischen sowie aus der stoischen Tradition gewonnene Tugend- und Erlösungslehre. Nachhaltig gewirkt hat Philons Verknüpfungsleistung auf die alexandrinischen. Christen Klemens und Origenes.
 
Auch wenn bereits die ältere christliche Apologelik auf die Philosophie zurückgegriffen hatte, verwendete doch insbesondere der Kirchenvater Klemens, Leiter der Katechetenschule von Alexandria, Philosophie als Instrument zur Wahrheitsfindung und zur Grundlegung der biblischen Offenbarung. Origenes war philosophisch gesehen wohl der bedeutendste griechische Kirchenvater. Als junger Mann war er für seinen christlichen Radikalismus und seine Ablehnung der heidnischen Bildung bekannt; um das Jahr 212 wandte er sich jedoch der platonischen Philosophie zu, um sich durch sie begriffliche Mittel für eine anspruchsvolle Apologetik anzueignen; seine spätere Wirkung als philosophischer Lehrer in Alexandria und Caesarea ist in der gesamten östlichen Theologie greifbar. Von seinen Schriften sind vor allem seine »Vier Bücher von den Prinzipien« bedeutend, die als erste philosophisch geprägte Gesamtdarstellung der christlichen Dogmatik gelten. Ferner hat Origenes wichtige Bibelkommentare verfasst, deren Methode er mithilfe seiner Lehre vom »vierfachen Schriftsinn« systematisiert hat; als bahnbrechend für die Bibelwissenschaft ist Origenes' vergleichende Ausgabe des Alten Testaments (»Hexapla«) anzusehen. Gott wird von Origenes als »in jeder Hinsicht einfach und eins« und als »ungeworden« gedacht; die »gewordene« Welt gliedert sich in einen ewigen geistigen Kosmos (zu dem auch Jesus Christus und der Heilige Geist zählen) und in einen geschaffenen sinnlichen Kosmos. Der Gottessohn Jesus Christus gilt wie bei Klemens als ein »zweiter Gott«, der dem Vater nur »ähnlich« und daher untergeordnet ist und der die Aufgabe hat, den geschaffenen Kosmos zu seinem Ursprung zurückzuführen. Origenes vertritt die Auffassung einer Rettung aller Wesen, einschließlich des Teufels, zu der es am Ende eines Geschichtsverlaufs von sechs Weltaltern kommen soll.
 
Der metaphysisch-religiös geprägte heidnische Platonismus der römischen Kaiserzeit scheint von Platons Denken nicht nur zeitlich weit entfernt zu sein. Er wirkt auf den ersten Blick überdies sachlich durch Welten getrennt von der Offenheit der platonischen Dialoge, ihrer Problemzentriertheit und ihrer innovativen philosophischen Kraft. Dennoch wäre es falsch zu meinen, der Neuplatonismus sei das Produkt einer Niedergangszeit oder gar ein fremdes, ein orientalisches Phänomen. Gerade die Neuplatoniker besaßen das Bewusstsein, das Erbe der klassischen Philosophie gegen zeitgenössische Strömungen wie Gnosis und Christentum zu verteidigen.
 
Plotin wurde um 204 geboren und studierte etwa von 231 bis 242 bei dem Platoniker Ammonios Sakkas in Alexandria. Um 242 nahm Plotin am Persienfeldzug von Kaiser Gordian III. teil, »um die Philosophie der Perser und Inder kennen zu lernen«. Der Feldzug scheiterte, und Plotin floh nach Rom. Dort gründete er eine philosophische Schule, deren Hörerschaft zum Teil aus der römischen Oberschichte stammte; Plotin genoss sogar das Wohlwollen von Kaiser Gallienus und dessen Frau. Sein Plan, eine philosophische Idealstadt »Platonopolis« in Campanien zu gründen, scheiterte jedoch an einer Intrige am Kaiserhof. Plotin starb 270 in seinem Landhaus in Minturnae. Sein umfangreiches Schriftencorpus ist uns durch Porphyrios' Enneaden-Ausgabe in Form von 54 Traktaten vollständig überliefert. Plotin, der sich selbst nur als »Exeget Platons« verstand, ist der Begründer und Hauptvertreter des Neuplatonismus.
 
Im Zentrum der Philosophie Plotins steht ein metaphysisches Stufensystem, das den Kosmos mittels der Folge von Erstem Prinzip (Eines) - Intellekt (Geist) - Seele - sichtbare Welt - Materie deutet. Hierfür greift Plotin die platonische Unterscheidung von wahrnehmbarer (sensibler) und denkbarer (intelligibler) Welt auf: Die drei ersten Stufen Eines, Geist und Seele gehören der Welt des Denkbaren an; die wahrnehmbare Welt entsteht durch die Verbindung intelligibler Formen mit der Materie. Für Plotin ist die Materie das Übel schlechthin; das bedeutet aber nicht, dass sie ein absolut Böses wäre; sie ist lediglich das relativ geringste, mangelhafteste, nicht weiter unterbietbare Produkt des Einen und besitzt als solches immer noch einen - wenn auch geringfügigen - Rest von dessen Gutheit. Nach Plotin geht jedes Seiende aus der ihm unmittelbar übergeordneten Entität mit Notwendigkeit hervor; es ist seine Aufgabe, zu seinem Ursprung zurückzukehren. Ziel des Menschen ist demnach sein Aufstieg zum Intelligiblen, aus dem er hervorgegangen ist; dieses Ziel soll er durch ein Freiwerden von moralischen Schwächen und durch eine philosophische Vergeistigung erreichen.
 
Wichtige Lehrstücke Plotins sind die absolute Transzendenz des Einen, welches hauptsächlich negativ umschrieben werden kann (»Negative Theologie«), und die Lehre, dass alle individuellen Seelen eine einzige bilden (»Monopsychismus«). Wie etwa später Meister Eckhart vertrat er die Ansicht, es gebe in der menschlichen Seele einen »nicht-abgestiegenen« Teil, also ein göttliches, »ungewordenes« Element.
 
Plotins Schüler Porphyrios gilt als der gelehrteste und - zusammen mit Proklos - als der geistesgeschichtlich einflussreichste Neuplatoniker. Man weiß, dass er der Autor von nahezu 70 Abhandlungen gewesen ist. Überliefert ist jedoch nur ein Bruchteil seines Werkes; unter anderem hat seine vehemente Bibelkritik, zur Ablehnung und sogar Vernichtung seines Werks von kirchlicher Seite geführt. Sein Einfluss ist dennoch beträchtlich; durch die Wirkung auf die Kirchenväter Marius Victorinus und Augustinus hat Porphyrios sogar die philosophische Fassung des christlichen Trinitätsbegriffs maßgeblich mitbestimmt.
 
Im Mittelalter war Porphyrios besonders durch seine weithin gelesene Einführungsschrift, die »Eisagoge« zu den Kategorien des Aristoteles, bekannt, mit der er die mittelalterliche Kategorienkommentierung und damit den gesamten Logikunterricht wesentlich prägte.
 
Proklos stammt aus einem vornehmen Elternhaus in Konstantinopel; in Athen war er insbesondere Schüler des Neuplatonikers Syrianos, dessen Nachfolge er in der Leitung der platonischen Akademie antrat. Proklos gilt als der wichtigste Systematiker unter den neuplatonischen Philosophen; unter seiner Leitung erreichte die Akademie in Athen noch einmal einen philosophischen Höhepunkt. Zentrale systematische Werke sind die »Elementatio theologica« und die »Theologia Platonica«; von Proklos stammen zudem sachlich höchst wertvolle Platonkommentare (besonders zu »Parmenides«, »Timaios« und »Politeia«).
 
Dr. Christoph Horn
 
 
Die Philosophie der Antike. Band 4, 2 Halbbände: Die hellenistische Philosophie, mit Beiträgen von Michael Erler u. a. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Basel u. a. 1994.
 Ricken, Friedo: Philosophie der Antike. Stuttgart u. a. 21993.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • griechische Philosophie. — griechische Philosophie.   Als Begründer der griechischen Philosophie und damit als Begründer der Philosophie in ihrer europäischen Gestalt überhaupt gelten Thales von Milet (6. Jahrhundert v. Chr.), mit dem die ionische Schule, und Pythagoras… …   Universal-Lexikon

  • Platon — I Platon,   lateinisch Plato, griechischer Philosoph, * Athen 427 v. Chr., ✝ ebenda 348/347 v. Chr.; aus adligem Geschlecht, Sohn des Ariston und der Periktione. Der junge Platon beabsichtigte, die politische Laufbahn einzuschlagen, wurde davon… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”